„Die Rücklagen sind weg“ – Jetzt geraten auch Gutsituierte in die Schulden-Spirale

Immer mehr Menschen in Deutschland rutschen tief in die Schulden, weil Krisen ihre finanziellen Reserven aufgezehrt haben.

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Die Überschuldung ist zurück – und zwar mit Wucht. Deutschland zählt wieder mehr Menschen, die ihre Schulden nicht mehr begleichen können. Rund 5,7 Millionen Erwachsene sind betroffen, meldet der Schuldneratlas Deutschland 2025. Die Gründe reichen von leeren Rücklagen bis hin zu unkontrolliertem Konsum – ein Blick in die Zahlen offenbart mehr als nur Einzelfälle.

Überschuldung ist längst kein Randproblem mehr

Was früher vor allem einkommensschwache Gruppen betraf, zieht sich inzwischen durch alle Schichten. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform spricht von einer „Trendwende mit Ansage“. Schon 2024 zeichnete sich ab, dass die Sparreserven vieler Haushalte zur Neige gehen. Jetzt ist klar: Für viele reicht das Geld schlicht nicht mehr. Besonders betroffen sind Regionen in Nordrhein-Westfalen und Bayern – dort schnellten die Quoten nach oben. In fast 70 Prozent aller Landkreise stieg der Anteil der überschuldeten Menschen.

Doch es gibt Ausnahmen: Städte wie Jena oder Weimar trotzen dem Trend. Dort ist die Zahl der Betroffenen in den letzten Jahren sogar deutlich gesunken. Besonders Thüringen fällt positiv auf: Im Bundesvergleich liegt es auf Platz drei – mit nur 7,4 Prozent. Auch Erfurt und das Weimarer Land schneiden im Langzeitvergleich gut ab. Was hier anders läuft? Klare Daten fehlen, doch offenbar spielen stabile Strukturen und lokale Präventionsarbeit eine Rolle.

Währenddessen verschieben sich die Ursachen. Früher war oft Arbeitslosigkeit der Hauptauslöser. Heute zeigen die Zahlen: Auch gut verdienende Menschen rutschen ab. Wer sich über Jahre einen gewissen Lebensstandard aufgebaut hat, stößt nun schneller an finanzielle Grenzen – besonders, wenn Zinsen steigen, Nebenkosten explodieren oder ungeplante Ausgaben dazwischenkommen. Die Überschuldung erreicht Menschen mit geregeltem Einkommen, mit sicherem Job – sogar mit Eigenheim.

Neue Konsumfallen: Der Preis der Flexibilität

Ein besonders stark wachsendes Phänomen ist die sogenannte Lifestyle-Überschuldung. Sie betrifft vor allem junge Erwachsene, die online kaufen, was gefällt – auf Raten oder mit „Buy now, pay later“-Modellen. Die Idee: schnell etwas gönnen, später zahlen. Was für Anbieter nach smarter Verkaufsstrategie klingt, wird für viele Nutzer zur Schuldenfalle. Fast die Hälfte der 18- bis 25-Jährigen in Deutschland hat schon einmal eine Zahlungsfrist im BNPL-Modell verpasst. Mahngebühren folgen – und der Schuldenberg wächst.

Dabei ist es nicht immer Maßlosigkeit, die junge Menschen in Schwierigkeiten bringt. Oft fehlt schlicht der Überblick. Die Rechnung vom Onlinehändler kommt später – manchmal Wochen nach dem Kauf. In der Zwischenzeit hat man längst etwas Neues bestellt. Der Monat endet, das Konto ist leer – und die Schulden stehen plötzlich im Raum. Kreditkarten, Teilzahlungen, Streaming-Abos, Lieferdienste: Für viele summiert sich das schneller, als man denkt.

Bei den über 60-Jährigen hingegen sind es andere Gründe. Geringe Renten, steigende Lebenshaltungskosten, dazu häufig unerwartete Ausgaben für Gesundheit oder Pflege – und schon wird aus dem monatlichen Engpass ein strukturelles Problem. Auch hier zeigt der Schuldneratlas: Die Zahl der betroffenen Senioren steigt.

Insgesamt rutscht keine Altersgruppe mehr ab als die der 30- bis 39-Jährigen. Rund 1,5 Millionen Menschen in dieser Spanne sind aktuell überschuldet. Männer häufiger als Frauen. Und mit jedem Jahr wird deutlicher: Die Überschuldung trifft nicht plötzlich, sie kommt schleichend.

Regionale Muster, neue Risikozonen

Lange wurde bei der Schuldenthematik zwischen Ost und West unterschieden. Inzwischen verschieben sich die Linien. Creditreform sieht heute ein neues Gefälle – zwischen Stadt und Land. In Metropolen mit stabilen Arbeitsmärkten und guter sozialer Infrastruktur bleiben viele Menschen über Wasser. Auf dem Land hingegen fehlt es oft an Unterstützung, Beratung oder wohnortnahen Hilfsangeboten.

Zudem ist die Abhängigkeit von steigenden Lebenshaltungskosten dort größer. Wer etwa 50 Kilometer zur Arbeit pendeln muss, spürt die Tankpreise intensiver. UWer im Einfamilienhaus lebt, zahlt höhere Heizkosten. Wer nicht einfach mal eben in die Stadt fahren kann, greift häufiger auf Online-Shopping zurück – inklusive der genannten BNPL-Fallen.

Auch bei den regionalen Spitzenreitern wird das deutlich. Während in manchen thüringischen Städten die Quoten zurückgehen, stiegen sie in ländlichen Regionen Bayerns und Nordrhein-Westfalens kräftig an. Besonders alarmierend: Die Quote der sogenannten harten Überschuldung – also jener Fälle, in denen es bereits zu Inkasso, Mahnbescheid oder Haftbefehl kommt – hat erneut zugenommen. Über 39.000 neue Fälle in einem Jahr.

Parallel stieg auch die weiche Überschuldung – anhaltende Zahlungsschwierigkeiten ohne rechtliche Folgen – um mehr als 70.000 Fälle. Beide Formen gleichzeitig zu sehen, ist selten. Zuletzt passierte das nur in den Jahren 2007, 2010 und 2012 – in Phasen großer wirtschaftlicher Unsicherheit.

Ausblick: wenig Hoffnung auf Entspannung

Wer jetzt auf eine rasche Erholung hofft, dürfte enttäuscht werden. Die Aussichten für 2026 sind laut Creditreform alles andere als rosig. Die hohe Inflation, die steigenden Zinsen, ein schwächelnder Arbeitsmarkt – all das lässt wenig Spielraum. Die Zahl der Arbeitslosen steigt und mit ihr das Risiko für neue Fälle von Überschuldung.

Was viele unterschätzen: Die psychische Belastung, die mit finanziellen Sorgen einhergeht. Wer seine Rechnungen nicht mehr zahlen kann, zieht sich oft zurück. Man schämt sich, vermeidet den Briefkasten, ignoriert Anrufe. Bis es zu spät ist. Gerade junge Menschen sind hier gefährdet – viele sprechen nicht über Geld, noch weniger über Schulden.

Dabei wäre genau das nötig. Frühzeitige Beratung, Transparenz im Umgang mit Zahlungsverpflichtungen, einfache Tools zur Haushaltsführung – all das kann helfen. Aber es muss auch ankommen. Schulen, Arbeitgeber, soziale Einrichtungen – sie alle könnten Teil der Lösung sein.

Die Erkenntnis aus dem Schuldneratlas Deutschland 2025 ist klar: Die Überschuldung ist kein Ausreißer mehr, sondern ein strukturelles Problem mit vielen Gesichtern. Wer heute nicht betroffen ist, könnte es morgen sein. Die Frage ist nicht mehr: Wer hat Schulden? Sondern: Wer schafft es, keine zu machen?

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