Assistierter Suizid der Kessler-Zwillinge: Lauterbach drängt auf gesetzliche Regelung

Der Tod der Kessler-Zwillinge durch assistierten Suizid entfacht eine hitzige Debatte, die Politik und Gesellschaft gleichermaßen bewegt.

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Der assistierte Suizid der Kessler-Zwillinge bewegt das Land. Zwei Frauen, vereint im Leben und im Tod, haben eine Debatte entfacht, die Politik, Ethik und Religion gleichermaßen herausfordert. Während die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) die rechtliche Lage als eindeutig betrachtet, warnt Karl Lauterbach vor gefährlichen Lücken. Der Fall bringt die Frage zurück ins Zentrum der Gesellschaft: Wie frei darf der Mensch über sein Lebensende entscheiden?

Assistierter Suizid der Kessler-Zwillinge: Ein Fall, der Wellen schlägt

Mit dem Tod von Alice und Ellen Kessler, zwei Legenden der deutschen Unterhaltung, bekommt die Diskussion um Sterbehilfe ein Gesicht. Der assistierte Suizid der Kessler-Zwillinge war kein plötzlicher Entschluss, sondern eine bewusste Entscheidung. Begleitet wurde sie von der DGHS, die betont: „Es gibt keine rechtliche Grauzone.“ Doch während die Gesellschaft klare Linien zieht, mahnt Lauterbach zur Vorsicht.

Der frühere Gesundheitsminister findet deutliche Worte: Die aktuelle Lage sei moralisch nicht haltbar. Im Gespräch mit der Rheinischen Post machte er klar, dass es zu viele Unsicherheiten gebe. Niemand könne garantieren, dass alle, die diesen Schritt gehen, wirklich aus freiem Willen handeln und geistig stabil sind. „Psychische Erkrankungen oder äußerer Druck dürfen bei so einer Entscheidung keine Rolle spielen“, betonte er. Besonders besorgt zeigt er sich über kommerzielle Anbieter – für ihn hat der Tod nichts auf einem Markt verloren. Sein Appell: Es braucht endlich ein Schutzkonzept, das echte Selbstbestimmung ermöglicht, ohne Missbrauch zuzulassen.

Seine Forderung: ein Schutzkonzept, das Freiheit respektiert, aber Missbrauch verhindert. Ein Balanceakt, den bislang keine Regierung geschafft hat.

Ein letzter gemeinsamer Schritt

Die Nachricht über den assistierten Suizid der Kessler-Zwillinge traf viele wie ein Schlag. 89 Jahre alt, ein Leben voller Glamour, Musik und Disziplin – und am Ende die bewusste Entscheidung, gemeinsam zu gehen. Die DGHS bestätigte, dass beide ihren Tod selbstbestimmt herbeigeführt haben.

DGHS-Präsident Robert Roßbruch erklärte im Gespräch mit MDR AKTUELL, dass der begleitete Suizid nur dann straffrei ist, wenn der Sterbewillige eigenverantwortlich handelt. „Die Handlung muss vom Betroffenen ausgehen. Andernfalls wäre es eine Tötung durch Dritte“, sagte Roßbruch. Der Arzt unterstützte lediglich den Prozess, etwa durch Bereitstellung eines Medikaments, das der Betroffene selbst einnimmt.

Diese Form des Sterbens sei legal – unter klaren Bedingungen.
• Der Suizident muss urteilsfähig sein.
• Die Entscheidung muss frei, konstant und wohlüberlegt getroffen werden.
• Ein psychisches Leiden schließt den begleiteten Tod nicht automatisch aus, erfordert aber eine ärztliche Einschätzung.

Roßbruch betont, dass hier keine rechtliche Unsicherheit bestehe. „Das Bundesverfassungsgericht hat die Rahmenbedingungen längst festgelegt. Es gibt keinen rechtsfreien Raum.“

Zwischen Gesetz und Gewissen

Die rechtliche Basis des assistierten Suizids der Kessler-Zwillinge geht auf ein Urteil aus Karlsruhe zurück. 2015 wurde Paragraph 217 des Strafgesetzbuchs eingeführt – die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ war verboten. Damit wurde professionelle Sterbehilfe praktisch unmöglich.

Doch 2020 hob das Bundesverfassungsgericht das Verbot auf. Es sei verfassungswidrig, urteilten die Richter, da es das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben verletze. Das Gericht stellte klar: Jeder Mensch hat das Recht, selbst über sein Lebensende zu bestimmen. Doch es forderte auch ein Schutzkonzept, um Druck oder Missbrauch zu verhindern.

Dieses Schutzkonzept gibt es bis heute nicht. Kein Gesetz, keine bundesweite Regelung. Für Lauterbach ein Unding. Er hält es für dringend nötig, klare Kriterien zu schaffen: Wer darf begleiten? Wie wird Freiwilligkeit geprüft? Wer schützt psychisch Kranke?

Die DGHS sieht das anders. Ihr Präsident Roßbruch meint: „Eine neue Regelung würde nur zusätzliche Hürden schaffen. Wir brauchen Vertrauen in die Eigenverantwortung der Menschen.“

Es ist ein Streit zwischen Freiheit und Fürsorge – zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung und der Angst vor Missbrauch.

Glaube, Moral und die Frage nach Würde

Während Juristen über Paragrafen diskutieren, ringt die Gesellschaft mit der moralischen Dimension. Auch die Kirche meldet sich zu Wort. Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler sprach in der Abendzeitung über die Haltung der Kirche: „Nicht der Mensch soll entscheiden, wann er geht. Dieses Recht gehört Gott.“

Doch Schießler zeigt sich zugleich selbstkritisch. „Früher haben wir Menschen, die sich das Leben nahmen, verurteilt – das war falsch.“ Heute gehe man mit mehr Mitgefühl an das Thema. „Wir begleiten die Angehörigen, wir beten für die Verstorbenen. Wir sind keine Richter.“

Gerade dieser Wandel in der kirchlichen Haltung zeigt, wie sehr sich das gesellschaftliche Verständnis von Sterben und Würde verändert. Wo früher Schweigen und Scham herrschten, wird heute offen diskutiert. Der assistierte Suizid der Kessler-Zwillinge hat diese Debatte neu entfacht – mit einer Tragweite, die weit über den konkreten Fall hinausgeht.

Viele Menschen fragen sich: „Wann ist ein Leben noch lebenswert? Und wer darf das entscheiden?

Ein offenes Kapitel

Vier Jahre nach dem Karlsruher Urteil bleibt der assistierte Suizid der Kessler-Zwillinge ein Wendepunkt – nicht nur für die öffentliche Diskussion, sondern auch für die Gesetzgebung. Lauterbach drängt auf eine Neuregelung, die Rechtssicherheit schafft, aber das Selbstbestimmungsrecht wahrt. Die DGHS hält dagegen und pocht auf Vertrauen in die Verantwortung des Einzelnen.

Noch ist unklar, ob der Bundestag bald aktiv wird. Die politische Mehrheit für ein neues Gesetz fehlt. Die ethische Spannung bleibt.

Fest steht: Mit ihrem letzten Schritt haben Alice und Ellen Kessler mehr erreicht, als sie vielleicht ahnten. Sie haben eine Debatte neu belebt, die Deutschland lange vermieden hat – über das Leben, den Tod und das Recht, selbst über beides zu bestimmen.

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