Mit 100 Jahren wirkt Rosa Gieselbrecht kein bisschen müde. Ihre Routine für ein langes Leben ist klar, diszipliniert – und erstaunlich einfach. Sie beginnt jeden Tag mit Bewegung, Humor und einer Prise Eigenwilligkeit. Wer ihr zuhört, merkt schnell: Das Geheimnis ihres Alters steckt nicht in Pillen oder Wundermitteln, sondern in Haltung und Herz.
Morgengymnastik, Kaffee und klare Ansagen
Wenn Rosa Gieselbrecht aufwacht, beginnt ihr Tag nicht mit Ruhe, sondern mit Bewegung. Noch im Bett macht sie Gymnastik, 120 Fußübungen, ein bisschen Stretching, manchmal sogar eine Brücke. Das gehört seit Jahrzehnten zu ihrer Routine für ein langes Leben. „Ich war immer sehr bestimmend“, sagt sie und lacht, „und ich bleibe dabei.“
Bevor die „Strumpffrauen“ kommen – ihre morgendlichen Helferinnen –, hat sie sich längst zurechtgemacht. Danach ruht sie sich kurz aus, bevor der Hunger nach Frühstück ruft. Kaffee, Radio, Nachrichten – so startet sie in den Tag. „Ich will wissen, was in der Welt passiert“, sagt sie und runzelt die Stirn, wenn der Empfang mal schwächelt.
Fernsehen ist nicht mehr ihr Ding. „Da sehe ich kaum, wer wer ist“, erzählt sie trocken. Lieber hört sie zu, liest mit ihrem Lesegerät oder greift zu Hörbüchern. Technik sei nie ihre Stärke gewesen, behauptet sie. Doch wer Rosa kennt, weiß: Diese Frau unterschätzt sich gern. Mit 18 wurde sie als Flugzeugmechanikerin eingezogen – und meisterte das mit Bravour. Eine Damenschneiderin in Uniform, die ihren Platz in einer Männerwelt behauptete.
Disziplin trifft Lebensfreude
Disziplin ist ihr Anker, Lebensfreude ihr Antrieb. Jeden Tag geht sie ihre 1000 Schritte, notfalls auf dem Balkon – zehn hin, zehn zurück, so lange, bis der Schrittzähler zufrieden ist. „Bewegung hält jung, auch wenn’s manchmal zieht“, sagt sie. Ihre Arme schmerzen? Dann macht sie Übungen, um sie zu stärken. Aufgeben war nie eine Option.
Das gilt auch in der Küche. Sie kocht selbst, auch wenn es langsamer geht. „Was die Fernsehfritzen zack, zack machen, dauert bei mir eben länger“, meint sie schmunzelnd. Der Grund: Ihre Sehkraft hat nachgelassen, und sie muss aufpassen, dass nichts danebengeht. Geduld hat sie gelernt – vielleicht das stillste Geheimnis ihrer Routine für ein langes Leben.
Am Wochenende ist die Wohnung selten still. Dann kommen die Kinder, Enkel und Urenkel. Es wird gelacht, gekocht, gefeiert. Sohn Gerhard wohnt im selben Haus, die Nähe gibt ihr Sicherheit. „Manchmal brauch ich kein Radio, ich hör’s von unten“, witzelt er, und Rosa lacht – dieses laute, offene Lachen, das sofort ansteckt.
Von Reutinerisch bis Reisen – ein Leben mit Haltung
Sprache, sagt Rosa, sei etwas, das man nicht verlernen dürfe. Ihren Reutiner Dialekt hat sie sich über die Jahrzehnte bewahrt. Nur wenige erkennen den Unterschied zu anderen Lindauer Stadtteilen. Für sie ist das mehr als Heimat – es ist Identität.
In ihren Erinnerungen blitzt das alte Lindau auf: die Freunde von damals, die Einberufung, die Nachkriegszeit, die ersten Reisen. Ihren ersten Urlaub erlebte sie mit 50. Sohn Gerhard setzte sie und ihren Mann ins Auto – Ziel: Jugoslawien. „Das war was! Kein Wort verstanden, aber viel gelacht“, erinnert sie sich. Danach reisten die beiden regelmäßig, bis der Tod ihres Mannes vor 20 Jahren die Routine veränderte.
Trotz allem blieb sie aktiv. Sie näht noch kleine Dinge, hält Ordnung, liest, denkt – alles, was den Kopf fit hält. Denn für Rosa Gieselbrecht gehört geistige Bewegung genauso zur Routine für ein langes Leben wie körperliche Aktivität.
„Ich will kein Pflegefall werden“ – Humor als Lebensgeheimnis
Wenn man sie fragt, was sie sich für die Zukunft wünscht, winkt sie ab. „Das ist großspurig, jetzt noch von Jahren zu reden“, meint sie. „Ich will kein Pflegefall werden, lieber mich selbst noch eine Weile haben.“ Das sagt sie ohne Bitterkeit, eher mit Gelassenheit. Ihr Humor ist geblieben – scharf wie eh und je.
„Da ist einer, der wackelt nachts immer, und da frag ich mich: Wer geht zuerst – meine Zähne oder ich?“ Mit diesem Satz bringt sie den Raum zum Lachen. Sie weiß, dass das Alter nicht nur Geschenke bringt. Aber sie nimmt es, wie es kommt – mit Witz, Würde und einem klaren Kopf.
Rosa Gieselbrecht zeigt, dass eine Routine für ein langes Leben nicht aus Regeln besteht, sondern aus Haltung. Aus kleinen, wiederkehrenden Dingen, die Halt geben: Bewegung, Neugier, Selbstdisziplin, Humor.
Ihre Tage sind keine leeren Rituale, sondern gelebte Dankbarkeit. Jeder Schritt, jede Übung, jeder Gedanke ist ein Zeichen, dass sie das Leben noch immer ernst nimmt – aber nicht zu ernst. „Man muss lachen können“, sagt sie, „auch über sich selbst.“
Was wir von Rosa lernen können
Vielleicht liegt das Geheimnis der Langlebigkeit gar nicht im Körper, sondern im Geist. Rosa Gieselbrecht lebt es vor. Sie ist unabhängig, klar in ihren Worten, stolz auf das, was sie geschafft hat. Sie vertraut auf Routinen, aber nie auf Stillstand.
Ihre Routine für ein langes Leben ist kein Rezept, das man einfach kopieren kann. Sie ist das Ergebnis eines ganzen Jahrhunderts voller Wandel – vom Krieg zur Digitalisierung, von der Schreibmaschine zum Smartphone. Rosa hat all das erlebt und ihren eigenen Weg gefunden, damit umzugehen.
Wer sie trifft, spürt sofort diese Mischung aus Ruhe und Energie. Sie ist kein Mensch, der auf Vergangenes blickt und seufzt. Sie schaut nach vorn, so weit sie kann. Und genau das macht sie so inspirierend.
Am Ende bleibt sie sich treu – mit einem klaren Blick, auch wenn der etwas verschwimmt. Ihr Leben ist ein stilles Lehrstück über Stärke, Humor und Selbstachtung. Und über die Kraft einer einfachen Wahrheit:
Ein gutes Leben beginnt nicht mit großen Zielen, sondern mit kleinen, treuen Routinen – einer ganz persönlichen Routine für ein langes Leben.