Ein neuer Anfang: Der Gerry Weber Neustart zeigt, wie Wandel in der Modebranche aussehen kann. Dreimal Insolvenz in sechs Jahren, ein vollständiger Rückzug aus dem stationären Handel – und doch steht die Marke wieder auf. Mit frischem Konzept, internationalem Rückhalt und digitalem Fokus wagt Gerry Weber den Sprung zurück in den Markt. Statt Schaufenster und Fußgängerzonen setzt man auf Algorithmen, E-Commerce und datengestützte Entscheidungen. Ob dieser mutige Schritt gelingt, dürfte nicht nur Fans der Marke interessieren.
Gerry Weber Neustart: Ein Traditionslabel kehrt zurück – aber anders als früher
Es ist ein Comeback, das leiser ausfällt als frühere Modekampagnen der Marke. Keine großen Eröffnungen, keine Laufstege, keine Blaskapelle in Halle (Westfalen). Der Gerry Weber Neustart findet online statt – und das ist kein Zufall. Nach dem wirtschaftlichen Absturz übernahm die spanische Grupo Victrix die Markenrechte und setzt auf ein Modell, das in der Branche als zukunftsweisend gilt: weniger feste Kosten, mehr Flexibilität, reine Online-Präsenz.
Die neue Kollektion ist schon online – gezeigt in einem modernen, bewusst minimalistisch gehaltenen Webshop. Ziel: Mode ohne Umwege – direkt vom Klick zum Kleiderschrank. Für den Vertrieb im deutschsprachigen Raum arbeitet Victrix mit der Globalist Beteiligungs GmbH aus Stuttgart zusammen. Zwei junge Unternehmer, Carlos Schönig und Felix Manthey, leiten das Projekt mit spürbarem Enthusiasmus. Sie verantworten die digitale Strategie und den operativen Aufbau. Die neu gegründete Gerry W. Online DACH GmbH dient als Lizenzpartner – ein Modell, das die Marke in die Zukunft tragen soll, ohne die Altlasten der Vergangenheit.
Victrix hat ein deutliches Ziel vor Augen: Gerry Weber soll in ganz Europa neu aufgestellt werden. Der Name soll für Qualität stehen, nicht für Insolvenzmeldungen. „Wir glauben an die Stärke dieser Marke“, betont Geschäftsführer Schönig im Handelsblatt. „Unsere Kundinnen kennen und lieben Gerry Weber – wir bringen sie nur auf einen neuen Weg zu ihr.“
Vom Modehaus zur Marke – der radikale Wandel
Wer begreifen will, was der Gerry Weber Neustart tatsächlich umfasst, sollte einen Blick in die Vergangenheit werfen. Die Geschichte beginnt 1973 in Halle (Westfalen), als die Hatex KG gegründet wird. Aus einem kleinen Familienunternehmen wird in den 1990er-Jahren eine internationale Erfolgsmarke. Gerry Weber steht für elegante, tragbare Mode, die Generationen verbindet. Das Unternehmen expandiert weltweit, beschäftigt über 1.000 Mitarbeitende und ist an der Börse notiert.
Doch der Erfolg wird zur Last. Der Einzelhandel steht im Wandel – der Online-Markt boomt, und die Art, wie Menschen einkaufen, verändert sich spürbar. 2019 folgt die erste Insolvenz. Britische Investoren steigen ein, doch das Comeback bleibt aus. 2023 und 2025 wiederholt sich das Szenario. Immer mehr Filialen schließen, am Ende auch die Zentrale in Halle. Mit der Übernahme durch Victrix endet die Geschichte als klassischer Modekonzern – und beginnt als Lizenzmarke ohne eigene Produktion.
Für die treue Kundschaft ist das ein Umbruch. Die Kleidung bleibt im gewohnten Stil, doch alles drumherum ist neu. Kein Ladengespräch, keine persönliche Beratung, kein Kaffee im Modehaus. Stattdessen Filter, Warenkorb und Newsletter. Es ist ein mutiger Schritt – aber einer, der der Realität der Branche entspricht.
Digitaler Neubeginn: Wie der Onlinehandel das Überleben sichert
Der Gerry Weber Neustart ist mehr als ein Rettungsversuch – er ist ein Experiment. Ein Traditionsunternehmen verzichtet auf alles, was es einst groß machte: Filialen, Laufkundschaft, persönliche Nähe. Der Fokus liegt auf Datenanalyse, digitalem Marketing und direktem Kundenkontakt im Netz. Das Konzept erinnert an Marken wie Esprit oder Hallhuber, die ebenfalls mit E-Commerce neue Wege gehen.
Der Online-Shop setzt auf einfache Bedienung, hochwertige Produktfotos und klare Botschaften. Im Fokus stehen weiterhin Frauen, die zeitlose, stilvolle Mode lieben – und beim Einkauf Wert auf Komfort legen. Dank datengestützter Systeme will man Trends früh erkennen und Kollektionen schneller anpassen.
„Unsere Entscheidungen beruhen auf Zahlen, nicht auf Bauchgefühl“, erklärt Schönig. Gemeint ist eine Strategie, die auf Echtzeit-Daten zu Klicks, Retouren und Kaufverhalten basiert. So kann jede Kollektion gezielter gesteuert werden, als es im klassischen Filialverkauf je möglich war.
Ein Risiko bleibt: Die emotionale Bindung, die viele Kundinnen über Jahrzehnte in den Filialen aufgebaut haben, lässt sich digital nur schwer ersetzen. Doch die Marke setzt auf Vertrauen. Der Name Gerry Weber steht weiterhin auf jedem Etikett – nur das Umfeld hat sich verändert.
Ein Markenname lebt weiter – und die Hoffnung auch
Der Gerry Weber Neustart markiert das Ende einer Ära – und zugleich den Beginn eines neuen Kapitels. Die Kollektionen tragen weiterhin den typischen Stil: klare Linien, tragbare Schnitte, feminine Details. Nur die Bühne ist eine andere. Statt Schaufenstern und Modehäusern gibt es jetzt Social Media, Newsletter und Onlinekampagnen.
Die Verantwortlichen wissen, dass dieser Weg kein Selbstläufer ist. Insolvenzexperte Michael Rozijn von der Kanzlei Schultze & Braun spricht von einem „riskanten, aber nachvollziehbaren Schritt“. Der Verkauf von Markenrechten sei häufig die letzte Chance, ein bekanntes Label im Bewusstsein der Kunden zu halten.
Für die Fans der Marke zählt am Ende eines: Sie bekommen wieder Gerry-Weber-Mode. Und das in einer Zeit, in der viele andere Labels gänzlich verschwinden. Vielleicht ist genau das der Kern dieses Neubeginns – ein Stück Vertrautheit im digitalen Zeitalter.
Auch wenn das Unternehmen in Halle geschlossen wurde, bleibt der Name eng mit seiner Herkunft verbunden. Er erinnert an deutsche Modegeschichte, an Laufstege, an Lebensfreude. Und vielleicht, wenn der Gerry Weber Neustart gelingt, an ein Beispiel dafür, wie eine Marke sich neu erfinden kann, ohne ihre Seele zu verlieren.
Der Gerry Weber Neustart steht sinnbildlich für die Transformation einer ganzen Branche. Zwischen Nostalgie und Neuanfang, zwischen Krise und Chance zeigt er, wie Tradition in einer digitalen Welt weiterleben kann. Der Erfolg wird sich nicht an Börsenkursen messen, sondern daran, ob Kundinnen eines Tages sagen: „Gerry Weber? Ach ja, das trage ich immer noch gern.“